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“Gaymainsam” statt gegeneinander

(Quelle: littlenySTOCK/Shutterstock.com)

Jedes Jahr im Juni wird von der LGBTQIA*-Community der “Pride Month”gefeiert und die Themen Stolz, Toleranz und Selbstbewusstsein queeren Lebens stehen im Fokus. Das Ganze hat allerdings auch einen politischen Hintergrund, denn es gibt immer noch Länder, in denen Homosexualität strafbar ist oder Gewalt gegenüber queeren Menschen ausgeübt wird. Auf diese Missstände soll das bunte Fest aufmerksam machen.
Der Ursprung der Bewegung liegt in der Christopher Street in New York City. Dort begannen sich in der Nacht zum 28. Juni 1969 Homo- und Transsexuelle in der Bar “Stonewall Inn” gegen die herrschende Polizeigewalt zu wehren. An diesen Tag wird jedes Jahr weltweit mit Paraden erinnert und Menschen gehen für mehr Gleichberechtigung auf die Straße.

Anlässlich des 51. Christopher Street Days (CSD) haben wir mit Heino Gövert gesprochen, er ist Mitgründer des “Queer Pride Würzburg e.V.”, welcher seit 2018 für die Organisation des CSDs in Würzburg zuständig ist.

Sprachrohr: Hallo lieber Heino, vielen Dank, dass du dir heute die Zeit für dieses Interview genommen hast und mit uns über die Pride Community reden möchtest. Zuerst würde uns interessieren, wie du denn persönlich deinen Weg in die “Queer Pride Community Würzburg” gefunden hast?

Heino: “Ich hatte ein spätes Outing mit 50, praktisch 35 Jahre später als normal (lacht) und habe mich dann auf den Weg gemacht in die queere Community. Es gab Gruppen für schwule Väter, das war der erste Kontakt und über den Weg bin ich in Würzburg in die Szene gekommen. Ich habe mich aber erstmal gar nicht so integriert. Natürlich habe ich schwule und lesbische Personen kennengelernt, also hatte ich dann quasi meine eigene Community. Dann habe ich mit meinem Mann 2016/2017 angefangen mich bei QueerPride zu engagieren.”

Sprachrohr: Der “Queer Pride Würzburg e.V.” hat sich dann ja erst zwei Jahre später im Februar 2018 gegründet. Wie kam es zu den Anfängen und wer war alles an der Gründung beteiligt?

Heino: “Die Anfänge des Christopher Street Days waren in den 90er Jahren in Würzburg. Eine ganz kleine Bewegung, die von Studenten und Studentinnen ausging, über das damals schon bestehende WuF-Zentrum (schwulesbisches Zentrum Würzburg). Später hat die Toleranz Fabrik e.V. die Organisation des CSDs übernommen, doch irgendwann ist alles ein bisschen zum Erliegen gekommen. Bis dann viele Leute schon gesagt haben ‘wir müssen wieder was machen’, aber wie das so ist, muss es halt auch Leute geben, die es anpacken, reden können wir alle gut (lacht). Das hat sich dann so nach 2016 entwickelt, es gab Gespräche und dann kamen Leute aus sehr viel unterschiedlichen Richtungen. Leute aus der Szene aber auch außerhalb der Szene. 2018 im Februar war es dann so weit, dann wurde der Verein gegründet. Es waren ungefähr 20 Leute, die da mitgemacht haben.”

Sprachrohr: Und wie viele Mitglieder sind heute bei euch im Verein tätig?

Heino: “Es sind immer noch nicht viel mehr Mitglieder, aber wir machen auch keine aktive Mitgliederwerbung. Wir haben einen Stand von 45 Mitgliedern, aber das ist uns nicht so wichtig, wenn da jemand ist, der inhaltlich mitarbeitet, ist das völlig egal, ob der dann Mitglied ist oder nicht. Im Vorstand sind derzeit 5 Leute tätig, das CSD-Orga Treffen findet einmal im Monat statt, in der heißen Phase jetzt aber häufiger, dort sind 15 Leute regelmäßig tätig. Aber es sind noch viele Leute im Hintergrund beteiligt durch die gute Vernetzung, die wir in den vier Jahren, die wir jetzt existieren, geschafft haben. Wir sind sehr gut mit vielen Vereinen und Verbänden in Würzburg vernetzt, wo wir auch sehr froh sind, dass dort eine totale Offenheit uns gegenüber besteht. Würzburg ist, obwohl Bayern, eine offene und bunte Stadt!”

Sprachrohr: Mit was für Herausforderungen hatte euer Verein schon zu kämpfen oder vielleicht immer noch? Und wie habt ihr diese überwunden?

Heino: “Einige Menschen zeigen immer noch Ablehnung, ich persönlich habe sie zum Glück noch nie erlebt. Ich kenne aber welche, die haben verbale Ablehnung erfahren, ‚schwul‘ als Schimpfwort ist immer noch gängig. Es ist aber nicht politisch korrekt, dass man sich so verhält, so offen homophob. Aber es kommt wieder. Wenn man bei manchen Parteienins Programm schaut, merkt man ganz genau, die wollen eine andere Gesellschaft, dort sind schwule Menschen etc. nicht vorgesehen. Das ist eigentlich die Herausforderung für mich und für den Verein, dranzubleiben und unsere Position in der Gesellschaft weiter voranzutreiben. Wir sind sehr aktive Menschen und ein wichtiger Teil der Gesellschaft, und es ist wahnsinnig wichtig, dass die jungen Menschen bei uns im Verein nachkommen, ihn weiterführen und dann ihren Weg gehen! Dafür muss man immer weiter Aufklärung leisten.”

Sprachrohr: Aber was hat sich in der Zeit alles getan und auf welche Erfolge kann stolz zurückgeschaut werden, Heino?

Heino: “Ich bin jetzt 62, das ist schon eine Generation, die mit dem Kampfaufgewachsen ist, aber Stonewall habe ich nicht mitbekommen, ich bin nämlich in einer kleinen Stadt aufgewachsen (lacht). Das war natürlich ein ganz wichtiger Anfang. Das hat Jahre und Jahrzehnte gedauert sich in der Gesellschaft sichtbar zu machen, in Ämtern und in verschiedenen Funktionen. In dem Punkt haben wir schon viel erreicht, es gibt noch einiges zu tun, aber zu spüren, dass ich mit meinem späten Outing mit 50 Jahren eigentlich keinerlei negativer Erfahrungen gemacht habe -das ist schon grandios! Klar, wenn ich nicht dabei bin, wird geredet, aber das ist mir auch Wurst! Das ist generell schonmal total positiv, dass wir angekommen sind und darüber reden können. Das muss man sich immer wieder bewusst machen, wie weit man schon gekommen ist!”

Der Pride Month hat in den letzten Jahren an immer mehr Aufmerksamkeit auch in der breiten Bevölkerung gewonnen. Das ist auf der einen Seite natürlich super, aber es gibt auch die andere Seite, denn die Firmen versuchen dadurch auch immer mehr Kommerz “herauszuschlagen”. Viele Firmen stehen in Kritik, da sie sich scheinbar nur im Pride Month um die Rechte der Queer Community bemühen.

Sprachrohr: Siehst du darin ein Problem, dass die Hauptthematik in den Hintergrund geraten könnte?

Heino: “Ja natürlich ist das ein Problem. Kommerz, ganz klar! Also bei dengroßen CSDs stellt sich die Frage, ob wir uns abhängig machen, schon seit Jahrzehnten. Welche Kompromisse gehen wir ein? Wie wollen sich die Sponsoren einmischen? Wie unabhängig sind wir dann noch? Aber wir sindnatürlich auch angewiesen auf Spenden und Zuschüsse.”

In Deutschland gibt es eine lange Geschichte der Diskriminierung von LGBTQIA*- Personen. Obwohl wir vorhin schon gehört haben, dass die LGBTQIA*- Community schon viel erreicht hat, gibt es heutzutage trotzdem noch vielen Klischees und Vorurteile gegenüber queeren Menschen.

Sprachrohr: Heino, hast du vielleicht ein, zwei Tipps wie man im Alltag Menschen unvoreingenommen und mit weniger Vorurteilen entgegentreten kann?

Heino: “Ich nehme mich als Beispiel, ich habe natürlich auch meine Vorurteile und Klischees. Sozialisation ist das. Wie bin ich aufgewachsen, was habe ich gesehen, worüber wurde gesprochen? Aber das heißt ja nicht, dass man sich im Laufe des Lebens nicht öffnen kann – das finde ich ganz wichtig. Das man versucht, den anderen offen gegenüberzutreten und sich darauf einzulassen. Ich weiß, das ist schwierig. Manchmal fehlt einem vielleicht auch die Kraft. Das ist ja auch anstrengend, sich zu öffnen. Aber eigentlich kann man dadurch nur gewinnen, denn man erfährtviel mehr von dem anderen und erfährt Dinge, die viel persönlicher sind, als die Informationen aus Internet und Medien.”

Sprachrohr: Wie denkst du kann die Aufklärungsarbeit noch mehr gefördert werden und was kann man selbst tun, um die Community zu unterstützen?

Heino: “Was wir tun können ist immer wieder aufklären und auch über Missverständnisse, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität aufklären! Also sachliche Aufklärung ist ganz wichtig. Im Pride Month geht es um queere Sichtbarkeit, unabhängig auch vom CSD und es wäre schön,wenn sich Menschen da sichtbar machen. Außerhalb mit Regenbogenfahnen zum Beispiel in ihrem Stadtteil oder bei der Fahrrad-Demo am Sonntag. Ich und mein Mann haben bei uns auf dem Balkon eineriesengroße Regenbogen-Fahne rausgehängt und da gibt es mehrere, also jeder kann etwas tun, um zu zeigen ‘ja wir sind dabei und machen uns sichtbar’.“

Sprachrohr: Was würdest du dir persönlich für die Zukunft der LGBTQIA*-Community noch wünschen?

Heino: “Ein Ziel ist es, auf jeden Fall noch weiterzumachen, voranzugehen, aber dabei nicht den Rest der Gesellschaft aus dem Blick zu verlieren! Ich halte mich auch gerne in der Community auf, aber ich finde es wichtig, dass man auch aus der Blase rauskommt, sonst wird manblind. Ich möchte gerne in einer Gesellschaft leben, in der jeder gesehen wird. Jeder soll sein Leben so leben wie er möchte, unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, Religion, Politik… Das Wort zum Sonntag (lacht).”

Milena Reis und Paulina Olbrich